Samstag, 11. Juli 2009

Der Instanzenzug bei der Erzwingung der Klageerhebung gegen Straftäter

Der Entzug Minderjähriger ist ein Antragsdelikt. Diese Straftat unterscheidet sich insofern vom Offizialdelikt wie bspw. der Körperverletzung, als sie der Strafanzeige und des Strafantrags des Geschädigten innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitrahmens bedarf, um durch die Staatsanwaltschaft verfolgt zu werden. Bei einem Offizialdelikt beginnt die Staatsanwaltschaft hingegen die Ermittlungen von sich aus ohne dass es eines Antrags des Geschädigten bedarf.

Einstellung der Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Straftäter
Ist eine Strafanzeige gestellt, muss das nicht notwendigerweise bedeuten, dass die Ermittlungen gegen den potentiellen Straftäter begonnen werden und Klage gegen ihn erhoben wird. Die Staatsanwaltschaft kann es aus verschiedenen Gründen auch ablehnen, die Ermittlungen fortzuführen, d.h. die Ermittlungen einstellen. Zu den Gründen hierfür können beispielsweise zählen, dass nach Einschätzung des Staatsanwaltes keine Straftat vorliegt oder nachweisbar ist (§ 170 StPO), wegen geringer Schuld oder bereits anderweitiger erheblicher Verurteilungen (§§ 153 ff. StPO, Opportunitätsprinzip), sowie mangelndes öffentliches Interesse (§153 I StPO). Auf das "mangelnde öffentliche Interesse" soll im Folgenden besonders eingegangen werden.

Mangelndes öffentliches Interesse
Unter dem Begriff des "öffentlichen Interesses" ist nicht in eigentlichen Sinne der Wörter zu verstehen, dass die Straftat "in der öffentlich gebildeten Meinung interessant ist", sondern vielmehr die juristische Definition: wenn ein Absehen von der Verfolgung aus Gründen der General- oder Spezialprävention nicht geboten ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn außergewöhnliche Tatfolgen eingetreten sind (BGHSt. 10, 259, NJW 1957, 1117). Letztlich ist dies Auslegungssache des beurteilenden Staatsanwaltes.

Rechtsmittel gegen die Einstellung von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Gegen das Einstellen der Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Straftäter kann der Anzeigende nach §46 III StPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einlegen. Eine sofortige Beschwerde richtet sich gegen diejenige Behörde, die einen Beschluss erlassen hat und ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, beginnend ab dem Tag des Zugangs des bzulehnenden Beschlusses, der zuständigen Beschwerdestelle zuzustellen. Als Datum des Zugangs gilt hierbei übrigens auch die Zustellung des Beschlusses an den bevollmächtigten Anwalt. Die Beschwerdestelle ist für eine sofortige Beschwerde gegen die Staatsanwaltschaft dann die
Oberstaatsanwaltschaft.

Klageerzwingungsverfahren
Lehnt die Oberstaatsanwaltschaft die Wiederaufnahme der Ermittlungen ebenfalls ab, so ist im nächsten Schritt an das Oberlandesgericht heranzutreten, welches für diesen Fall das Beschwerdegericht ist. Hier handelt es sich nun nicht mehr um eine sofortige Beschwerde. Anstelle dieses Rechtsmittels tritt das Klageerzwingungsverfahren nach §172 StPO. An den hier zu stellenden "Antrag auf gerichtliche Entscheidung" gelten besondere Vorschriften:
  1. Personen, die nicht postulationsfähig sind (d.h. in der Praxis üblicherweise: "keine in Deutschland zugelassenen Anwälte sind") können diesen Antrag nicht stellen.
  2. In Deutschland zugelassene Anwälte reichen solche Klagen üblicherweise schriftlich ein
  3. In Bundesländern, die das elektronische Verfahren EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungs-Postfach) bereits unterstützen, können solche Schriften auch elektronisch übermittelt und mittels qualifizierter Signatur signiert werden.
Besondere Anforderungen an Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Klageerzwingungsverfahren)
Auch an den Inhalt des Antrags auf gerichtliche Entscheidung werden ganz besondere Anforderungen gestellt:
  • Alle Tatsachen, die die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, sowie zugehörige Beweismittel müssen angegeben werden
  • Alle relevanten Fakten zur Tat und zum bisherigen Verfahren selbst müssen enthalten sei
  • Auf den Akteninhalt darf nicht Bezug genommen werden
  • Anwaltszwang: Der Antrag muss von einem Anwalt unterzeichnet sein

Deutsche Verfassungsgerichte

Wird dieser Antrag ebenfalls abgelehnt, verbleibt dem Beschwerdeführer der Gang zur nächsten Instanz, dem Bundesverfassungsgericht (für Berlin: Berliner Verfassungsgericht).

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Sofern auch hier der Beschwerde keine Abhilfe verschafft wurde, ist als letztes Rechtsmittel im europäischen Rechtsgefüge die Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) möglich. Diese Beschwerde kann nunmehr auch der
"einfache" Bürger führen, ein Anwaltszwang besteht hierbei nicht. Aufgrund der besonderen Vorschriften dieses Rechtsmittels ist jedoch das Hinzuziehen eines Anwaltes dringend anzuraten. Weiterhin setzt die Einbringung einer Individualbeschwerde unter anderem
voraus, dass

  • eine Verletzung der Menschenrechte vorliegt
  • auf diese Verletzung der Menschenrechte auch in früheren Instanzzügen deutlich Bezug genommen wurde

Natürlich ist auch bei diesen beiden "letzten" Instanzen auf Einhaltung der Fristen zu achten!

"Kindesentführung" - was ist das, was kann ich tun?

Begriffsdefinition
Mit dem Begriff "Kindesentführung" wird im allgemeinen Sprachgebrauch das gemeint, was der Jurist als "Entzug Minderjähriger" bezeichnet. Damit wird die Tat definiert, dass ein Elternteil dem anderen den Umgang mit dem Kind ganz oder teilweise verweigert.

Zahlen
Aus Deutschland werden nach Schätzungen unabhängiger Organisationen jährlich zwischen 2.000 und 3.000 Kinder von einem Elternteil ins Ausland verschleppt. Juristen schätzen diese Fälle bis zu fünfmal höher. (Quelle: Verein find kids e.V. http://www.find-kids.de).

Strafbarkeit von Kindesentzug
Einem Elternteil dem Umgang mit dem leiblichen Kind zu vereiteln ist in Deutschland strafbar nach §235 Strafgesetzbuch (StGB). Dabei sind zwei Dinge für den Straftatbestand völlig unerheblich:
  1. Der Elternteil, dem das Kind entzogen wird, braucht das Sorgerecht nicht zu besitzen. Er besitzt trotzdem das Recht (und auch die Pflicht!) zum Umgang mit seinem Kind, solange ein deutsches Gericht ihm dies nicht explizit aberkennt. §1684 I BGB stellt dies völlig klar: "Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt."
  2. Die Dauer der Umgangsverweigerung ist ebenfalls unerheblich. Nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte und der einschlägigen juristischen Kommentierungen reicht selbst eine kurze, nicht nur ganz vorübergehende Dauer der Umgangsverweigerung aus, um den Straftatbestand zu erfüllen. Hierzu können gemäß dieser Kommentierungen "bereits einige Minuten" ausreichen.
Fazit: Auch nicht sorgeberechtigte Väter / Mütter haben Recht zum Umgang mit dem leiblichen Kind, eine Verweigerung dieses Umgangs ist strafbar.

Rechtliche Grundlagen
Rechtliche Grundlage für diesen Straftatbestand ist der §235 StGB.
  • Der Absatz 1 bezieht sich auf Straftaten, die im Inland begangen werden. Wer beispielsweise in Deutschland ein Kind dem anderen Elternteil entzieht, also beispielsweise den Umgang sabotiert, der begeht eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet werden kann.
  • Absatz 2 beschäftigt sich mit Auslandsstraftaten: Geschieht der Kindesentzug durch das Verbringen des Kindes ins Ausland, wird aus der Straftat sogar eine Dauerstraftat. Dies bedeutet, dass die Straftat als dauerhaft begangen angesehen wird, solange das Kind ins Ausland verbracht wurde und dort verbleibt. Erst mit der Rückführung des Kindes in seine Heimat endet die Straftat. Wichtig ist dies für das Thema "Verjährung". Die Verfolgungsverjährung eines Deliktes beginnt erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Straftat endet. Wird die Straftat fortgesetzt begangen, kann die Verjährung nicht einsetzen.
  • Auch der Versuch des Kindesentzuges ist strafbar. Dies sagt Absatz 3 aus. Im Allgemeinen dürfte der Nachweis hierüber jedoch schwer zu führen sein.
  • Wird darüber hinaus auch Leib oder Leben des entführten Kindes gefährdet, kann gemäß Absatz 4 das Strafmaß auf bis zu zehn Jahre anwachsen. Man beachte hier, dass auch ausdrücklich die Schädigung der seelischen Entwicklung des Kindes aufgeführt ist. Durch das bei Kindesentzug ins Ausland mitunter häufige Wechseln der Wohnorte und der damit einhergehenden Beziehungsabbrüche unterliegt eine Kindeswohlgefährdung bei internationalen Kindesentziehungen einer ganz besonderen Pflicht der Prüfung.
  • Auf die Absätze 5 und 6 soll hier nicht weiter eingegangen werden, sie sind für diese Erörterung nur sehr bedingt relevant.

Antragsdelikt
Es ist darauf zu achten, dass es sich bei den in §235 StGB fallenden Fällen um sogenannte Antragsdelikte handelt. Der betroffene Elternteil beispielsweise muss selbst Schritte einleiten, um die Verfolgung des entziehenden Elternteils einzuleiten (§235 VII StGB).
Hierzu wäre z.B. notwendig:
  1. eine Strafanzeige zu stellen - beispielsweise durch Besuch der zuständigen Polizeidienststelle,
  2. in der Strafanzeige deutlich darauf hinzuweisen, dass gleichzeitig StrafANTRAG gestellt wird (dies ist in der Strafanzeige durch den Beamten zu protokollieren).Strafanzeige und Strafantrag sind innerhalb von drei Monaten nach Kenntnisnahme vom Straftatbestand zu stellen.